
© Katrin Binner
Neue Bauform reduziert Systemkosten
Schwungmassenspeicher können eine wichtige Rolle zur Stabilisierung
des Stromnetzes übernehmen. Innerhalb von Millisekunden stellen sie bei
Bedarf hohe Leistungen zur Verfügung. Die Kurzzeit-Stromspeicher wirken
zugleich als aktive Spannungsfilter zur Optimierung der Stromqualität.
Im Projekt KoREV-SMS entwickeln Wissenschaftler einen
Schwungmassenspeicher in Außenläufer-Bauform. Sie erreichen dadurch eine
höhere Energiedichte bei geringeren Anschaffungskosten als
konventionelle Schwungmassenspeicher.
Projektstatus | Komponenten-Versuche |
---|---|
Typische Anlagengröße – Energie [MWh] | 0,001 bis 0,01 |
Typische Anlagengröße – Leistung [MW] | 0,05 bis 0,2 |
Energiedichte gravimetrisch [Wh/kg] | 10 bis 30 (nur Rotormasse) |
Leistungsdichte gravimetrisch [Wh/kg] | 300 bis 1.200 (nur Rotormasse) |
Wirkungsrad AC/AC | 0,92 |
Speicherverlust [1/d] | > 100 %, daher Einsatz als Kurzzeitspeicher |
Zyklenfestigkeit | > 100.000, unabhängig von Entladetiefe |
Brauchbarkeitsdauer der Anlage (1 Zyklus/Tag) | Nur abhängig von Lebensdauer d. Leistungselektronik (ca. 10 Jahre) |
Typische Entladezeit | 1 bis 5 min |
Ansprechzeit bei Breitstellung der Energie | < 100 ms |
Typische Zeit zwischen Ein- und Auslagerung | Max. 10 min |
Anwendungsfelder, Beispiele | Lastgangglättung, Netzstabilisierung, unterbrechungsfrei Stromversorgung, Inselnetze mit hohen Anteilen Erneuerbarer Energien |
Projektlaufzeit | November 2015 bis November 2018 |
Neue hochfeste Faserverbundstoffe erlauben heute Drehzahlen und Bauformen für Schwungmassespeicher, die die früher eingesetzten Stahl oder Titanrotoren zum Bersten gebracht hätten. Da die kinetische Energie mit der Geschwindigkeit der rotierenden Masse quadratisch steigt, lassen sich weitaus höhere Leistungen bei kleinerem Gewicht und kompakter Baugröße realisieren.
Im Projekt KoREV-SMS wollen die Wissenschaftler diese Technologie für konkurrenzfähige, langlebige Energiespeicher fortentwickeln, die Systemdienstleistungen für ein stabiles europäisches Stromnetz erbringen. Die Forschung soll insbesondere die spezifischen Anschaffungskosten senken und die Verfügbarkeit des Systems bei Wartungsintervallen von drei bis fünf Jahren sicherstellen. Dadurch könnten die Lebenszykluskosten unter denen konkurrierender Speicher wie Lithium-Ionen-Batterien oder Supercaps sinken.
Die Forscher können auf ein vorangegangenes Forschungsprojekt aufbauen. In diesem war der weltweite erste Funktionsnachweis eines Schwungmassenspeichers in Außenläufer-Bauform gelungen. Bei dieser Bauform ist die Schwungmasse als Hohlzylinder ausgeführt. Dieser rotiert um einen feststehenden Stator. Eine Welle, über welche die Schwungmasse an konventionelle Innenläuferkomponenten gekoppelt ist, existiert nicht. Die im Hochvakuum berührungslos magnetisch gelagerte Schwungmasse wird über eine integrierte elektrische Hochdrehzahlmaschine auf bis zu 21.000 Umdrehungen pro Minute beschleunigt.
Auf die Geschwindigkeit kommt es an
Durch höhere Drehzahlen steigern die Forscher die Energiedichte des Speichers und senken so die spezifischen Anschaffungskosten. Sie wollen die Festigkeit der Schwungmasse aus Faser-Kunststoff-Verbund (FKV) maximal ausnutzen ohne die Zuverlässigkeit zu gefährden. Da sich für den Rotor viele verschiedene Faser-Matrix-Kombinationen und unterschiedliche Fertigungsverfahren anbieten, ermitteln sie experimentell deren Festigkeitswerte. Die Betriebsfestigkeit als Funktion der relevanten Betriebsparameter (Temperatur, Lastzyklenzahl, Lastdauer) wird für jeden Werkstoffkandidaten experimentell ermittelt. Hierfür muss zunächst ein geeignetes Prüfverfahren entwickelt und qualifiziert werden. Durch statistisch abgesicherte Reihenuntersuchungen an relevanten Faser-Matrix-Kombinationen soll abgeleitet werden, welche Materialien und Fertigungsverfahren sich eignen, um Energieinhalt und -dichte signifikant zu steigern. Abschließend sollen die Ergebnisse auf voll skalierte FKV-Schwungmassen übertragen werden.
Betriebsfestigkeit prüfen
Die Betriebsfestigkeit der Schwungmasse aus FKV prüfen die Wissenschaftler unter Betriebsbedingungen. Um die Prüfstandskosten und auch die Prüfdauer gering zu halten, nutzen sie einen skalierten Stellvertreterprüfstand. Der Prüfstand soll so ausgelegt werden, dass der Lebenszyklus eines Schwungmassenspeichers von über 200.000 Ladezyklen im Zeitraffer innerhalb von zwei bis drei Monaten durchfahren werden kann. Dies ermöglicht es, in der Projektlaufzeit die Betriebsfestigkeit von mindestens sechs verschiedenen Rotoren zu untersuchen. Abschließend werden die Rotoren auf dem Prüfstand bis zum Bersten belastet. Die Erkenntnisse aus diesen Versuchen fließen in eine Optimierung der Schutzeinrichtungen ein.
Robuste, elektronikreduzierte Magnetlagersensorik
Im aktiven Magnetlager misst eine Sensorik kontinuierlich die exakte Position des Rotors. Die notwendige hohe Auflösung und Bandbreite macht die Sensorik teuer. Diesen Aufwand wollen die Wissenschaftler auf die minimal notwendige Struktur reduziert. Dazu untersuchen sie zwei Möglichkeiten. Zum einen können sie das Sensorkonzept zu einer Minimalsensorik fortentwickeln, die nur passive Sensorkomponenten innerhalb des Vakuums verwendet. Zum anderen wäre auch die Weiterentwicklung des aktiven Magnetlagers hin zum selbstsensierenden Lager möglich. Letztgenanntes ermöglicht eine Positionsbestimmung über die indirekte Messung der Lagerinduktivität. Beide Sensorkonzepte senken nicht nur die Kosten sondern auch die Ausfallwahrscheinlichkeit, da weniger Bauteile notwendig sind.
Redundantes Magnetlager
Magnetgelagerte Systeme haben in den letzten Jahren sehr eindrucksvoll gezeigt, dass sie längere Standzeiten und geringere Ausfallzeiten als konventionell gelagerten Systemen erreichen. Bezogen auf das Gesamtsystem Schwungmassenspeicher in Außenläufer-Bauform weist die Leistungselektronik der Magnetlagerung dennoch die höchste Ausfallwahrscheinlichkeit auf. In einem Teilvorhaben entwickeln die Wissenschaftler deshalb ein redundantes Magnetlagersystem. Es verursacht lediglich geringe Mehrkosten, ermöglicht aber bei einem Schaden einen sicheren Weiterbetrieb oder zumindest ein sicheres Herunterfahren des Gesamtsystems. Die Ausfallwahrscheinlichkeit des Energiespeichers wird damit weiter reduziert und dessen Verfügbarkeit sichergestellt.
Planetares Fanglager
Fanglager stabilisieren im Falle einer Überlast oder eines Fehlers des Magnetlagers den Rotor. Fanglager stellen so eine hohe Verfügbarkeit des Systems sicher, sind aber in der Regel extremen Belastungen ausgesetzt und versagen häufig nach nur wenigen Einsätzen. Beim Außenläufer ist eine konventionelle Fanglagerung nicht möglich. Die Geometrie als auch die hier hochdynamischen Vorgänge erfordern alternative Konzepte. Die Forscher entwickeln daher ein neuartiges planetares Fanglagerkonzept und erproben es an einem Stellvertreterprüfstand. Die Erkenntnisse dieser Versuche dienen der Auslegung von Fanglagerungen an vollständigen Systemen. Ziel ist es ein tragfähiges, seriennahes Fanglagersystem zu konstruieren, welches die Verfügbarkeit des Schwungmassenspeichers in Außenläuferbauform nachweislich erhöht. Aussagen über die Lebensdauer der Fanglagerung sind dabei von entscheidender Bedeutung und sollten möglichst praxisnah experimentell nachgewiesen werden.
Systemintegration der Einzelergebnisse
Im abschließenden Teilvorhaben tragen die Forscher die Ergebnisse der Teilvorhaben zusammen, um deren Funktionalität im Gesamtsystem zu untersuchen und nachzuweisen. Neben der Steigerung der betriebsfesten Energiedichte soll nachgewiesen werden, dass sich das entwickelte Magnetlagersystem auf das reale System adaptieren lässt. Ebenso soll das entwickelte Fanglagersystem an einem realen Schwungmassenspeicher in Außenläuferbauform eingesetzt werden. Dem übergeordneten Projektziel folgend soll nachgewiesen werden, dass die Teilergebnisse die Kosten pro Energieinhalt deutlich reduzieren und gleichzeitig die Verfügbarkeit des Systems erhöhen.
Projektstatus
Zunächst sollen einzelne Komponenten des bisherigen Energiespeicherkonzepts an Stellvertreterprüfständen getestet werden. Die Prüfstände müssen in den meisten Fällen eigens dafür entwickelt und konstruiert werden. Mittels der Testergebnisse sollen die Komponenten überarbeitet und angepasst werden. Abschließend werden die angepassten Komponenten in einen bereits bestehenden Energiespeicher integriert und im Gesamtsystem getestet. Zurzeit werden mehrere Komponenten-Stellvertreterprüfstände konstruiert und aufgebaut. Die Versuche werden Ende 2016 starten.